Muss man Schweizer Journalisten zum Jagen tragen?

Surfen bildet. Manchmal bleibe ich an den unmöglichsten Stellen hängen, kürzlich zum Beispiel an dieser: «[...] Jean Ziegler, auch von mir während Jahren im Auftrag der Banken verfolgt, als er seine ersten Bücher über den Finanzplatz Schweiz publizierte [...]». Hä? Beiläufig gesteht hier ungefragt ein bekannter Zürcher PR-Profi, für viel Geld jahrelang verdeckt eine Diffamierungskampagne gegen Jean Ziegler gefahren zu haben - «im Auftrag der Banken». Eine ziemlich dicke, auf der Strasse liegende Story, auf die PR-Mann Stöhlker selbst auch noch mit dem Zaunpfahl hinweist.


Und kein Journalist fühlt sich gedrängt – sei es aus schierer Neugier – sich danach zu bücken. Ich kann doch wohl nicht der Einzige gewesen sein, der diesen offensichtlichen Hinweis gelesen hat. Muss man Schweizer Journalisten zum Jagen tragen?

 

Bekanntlich hatte sich Ziegler mit den Schweizer Banken sehr direkt angelegt (u.a. mit «Die Schweiz wäscht weisser»), zu einer Zeit, als das noch existenzbedrohend sein konnte. Schweizer Standard-Themen eben: Steuerhinterziehung mit staatlicher Beihilfe, Schwarzgeld im Billionenbereich auf Schweizer Konten, Steueroasen-Deals, Geldwäsche usw. Ziegler wurde nicht nur von PR-Menschen, sondern von einer ganzen Hermandad von Rechtsanwälten verfolgt. Noch heute sitzt er auf einem über eine Million Schweizer Franken hohen Schuldenberg aus sich über Jahre hinziehenden Prozessen. Schlimme Fehler hat man ihm nie nachweisen können.

 

Der Schmutzfink der Nation

Die hoch alimentierte, professionelle und verdeckte Kampagne gegen den «Schmutzfink der Nation» hinterliess dennoch die gewünschten, Nachahmer abschreckenden Spuren. Es war der gezielte Versuch, eine unliebsame Existenz zu ruinieren. Dass Ziegler nicht daran zerbrach, hat er seinem robusten Naturell zu verdanken. Heute bescheinigen ihm auch Verleumder von damals, mit seiner Kritik im wesentlichen Recht behalten zu haben.

 

Viele Schweizer halten ihre Banken bis heute einer solch zielstrebigen Infamie nicht für fähig. Dabei läuft aktuell, nur als Beispiel, noch immer der Prozess gegen Rudolf Elmer, den ehemaligen Controller bei der Zürcher Privatbank Julius Bär. Elmer hatte mit gestohlenen Daten auf dunkle Steuerbetrugspraktiken der Bank via ihre Cayman-Connection aufmerksam gemacht. Geld nahm er dafür von keiner Seite, gab aber wertvolle Hinweise auf ein einschlägiges, professionell aufgezogenes und weit wucherndes schwarzes Anlagegestrüpp, wie eine Untersuchungsrichterin in Akten anerkennend vermerkte.

 

Das Imperium rotierte und gebar eine Maus

Jahrelang wurde gegen Elmer wegen Verletzung des Bankgeheimnisses ermittelt, bis hin zur Behauptung, die öffentliche Sicherheit gefährdet zu haben: ein halber Terrorist. Im Januar dieses Jahres fiel das Urteil: eine – bedingte – Geldstrafe von gut Fr. 7400. Der rotierende Berg hatte nicht mal eine Maus geboren. Aber die abschreckende Wirkung war erreicht. Die Bank – und das ist aktenkundig – hatte im Vorfeld einen Lügendetektor eingesetzt und schreckte nicht davor zurück, zeitweise elf Privatdetektive gleichzeitig auf ihren ehemals hoch geschätzten Angestellten und dessen Familie loszulassen, um ihn gezielt psychisch und finanziell fertig zu machen. Anders lassen sich die Fakten nicht interpretieren. Fast wäre es ihnen gelungen.

 

Der Schwarze Peter ist überall

Noch am Abend des angesichts der Vorgeschichte marginalen Schuldspruchs wurde Elmer wie ein potenzieller Staatsfeind samt Ehefrau und vor den Augen seiner minderjährigen Tochter erneut verhaftet, weil er – aus welchen Gründen auch immer – behauptet hatte, Wikileaks eine CD mit neuen geheimen Kontendaten übermittelt zu haben. Tage später widerrief er die Behauptung; er habe sie lediglich zu seinem Schutz erhoben. Aber das langt für eine über sechs Monate dauernde U-Haft. Ohne jeden Beweis. Es gibt diese Daten offensichtlich nicht.

Fast zeitgleich liess UBS-Chef Sergio Ermotti über alle möglichen Medienkanäle verlauten: «Die Schweiz ist reich geworden durch Schwarzgeld. Wenn wir überall einen Schwarzen Peter verteilen würden, wo unversteuertes Geld drin ist, wäre die ganze Bahnhofstrasse voll von Schwarzen Petern.» Polit-Bern reagierte vordergründig entrüstet: Wie kann ein Bankier bloss so ehrlich sein?

Wenn ein kleiner Controller Ermottis Aussage mit Fakten untermauert, wandert er sechs Monate in U-Haft.

 

Der Rechtsstaat spielt verrückt und kaum jemanden juckt's ...

... ausser die kleine «WOZ» und ein paar Routinebeiträge beisteuernde Journalisten. Aller anderslautenden Abkommen und Beteuerungen von Politik und Banken zum Trotz ist es bis heute legal, für amerikanische Steuerhinterzieher in der Schweiz ein Konto zu führen – nach ordentlichem Schweizer Recht, versteht sich.

 

Wir werden eiskalt belogen – und lassen es zu

Die meisten Bankiers behaupten bis heute – und Medien und Publikum glauben es noch immer –, Banken könnten schliesslich nicht wissen, welche dubiosen Gelder ihnen da zuflössen, die kämen einfach, ohne Zeddeli dran. «Das war immer eine Lebenslüge», gesteht kaltschnäuzig der Privatbankier Konrad Hummler im letzten «SonntagsBlick» (online nicht frei zugänglich). Seine St. Galler Privatbank ist in ein einschlägigesVerfahren in den USA verstrickt. Er bleibt weiterhin Präsident der «NZZ» und droht Journalisten, die ihm zu nahe kommen, prophylaktisch mit dem Rechtsanwalt. Eine wahrlich liberale Gesellschaft.

 

Kunden werden rausgeschmissen

Zugleich verraten Schweizer Banken ihre Kunden an die US-Steuerbehörde oder schmeissen sie in vorauseilendem Gehorsam als Kunde gleich raus, wie es dem Schweizer Journalisten Karl Kränzle bei der CS passierte (seinen Fall beschreibt er in der aktuellen Basler «TagesWoche»). Seine Steuern hat er übrigens brav und nachweislich bezahlt. Wenn man es nicht selbst erlebt, glaubt man's kaum.

Aber: Who cares?

 

Bröckli hier, Bröckli da

Solche Info-Bröckchen findet man zwar überall in unsern Medien, man muss sie sich aber mühsam einzeln zusammenpicken. Dass Schweizer Medien mal aufbegehren, die Widersprüche und Verlogenheiten in einer geballten Ladung sammeln und dem Publikum vorführen, mit Frontschlagzeilen: «Jetzt reicht's mit diesem elenden Sumpf und dieser kollektiven Heuchelei! Es schadet dem Land. Der Preis ist inzwischen viel zu hoch!», diesen Tag werden wir wohl nicht erleben.

 

Es braucht einen ehemaligen Regierungssprecher – Oswald Sigg –, der auf der kleinen Website «Infosperber» in einer Buchbesprechung Klartext redet. Das Standard-Werk von Nicholas Shaxson über Steueroasen und ihre verheerenden Auswirkungen wurde kaum irgendwo sonst besprochen, und wenn, dann äusserst unauffällig. Angepasste Schweizer Medienrealität. Die Oase döst, obwohl das Getöse des heraufziehenden Sandsturms unüberhörbar ist.

 

Fred David ist seit 40 Jahren Journalist (u.a. «Spiegel»-Redaktor, Auslandkorrespondent der «Weltwoche», Chefredaktor von «Cash»). Er lebt heute als freier Autor in St. Gallen. 

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