Manning-Urteil schafft besorgniserregenden Präzedenzfall für US-Informantenschutz

Reporter ohne Grenzen (ROG) ist bestürzt über das Urteil eines US-Militärgerichts gegen den Wikileaks-Informanten Bradley Manning. Der Soldat hatte sich in einigen Anklagepunkten schuldig bekannt. Das Urteil vom Dienstag (30. Juli) folgt jedoch zum Teil den erheblich weiter gehenden Vorwürfen der Anklage, auch wenn Manning vom schwersten Vorwurf der „Unterstützung des Feindes“ freigesprochen wurde.

 

„Bradley Manning ist der Prototyp eines Informanten, der unter großen persönlichen Risiken politische Missstände öffentlich gemacht hat“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Die durch Manning ermöglichten Enthüllungen hätten eine breite Debatte in den USA und darüber hinaus über die Irak- und Afghanistanpolitik der USA sowie über Exzesse von Militär und Justiz angestoßen. Deshalb schaffe das Urteil gegen ihn einen gefährlichen Präzedenzfall. „Mutige Menschen wie er und Edward Snowden sind unverzichtbar, damit Journalisten Fehlentwicklungen publik machen können. Solche Informanten verdienen einen starken gesetzlichen Schutz und keine drakonischen Strafen.“

 

Seit dem Amtsantritt von Präsident Barack Obama hat die Verfolgung von Journalisten und „Whistleblowern“ in den USA besorgniserregende Ausmaße angenommen: Das US-Justizministerium ließ Telefonverbindungsdaten der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) beschlagnahmen – offenbar, um die Quellen für einen Bericht über einen CIA-Einsatz zu ermitteln. (http://bit.ly/15IQOFM) Der Fox News-Korrespondent James Rosen wird wegen der Veröffentlichung geheimer Nordkorea-Informationen als „Mitverschwörer“ eines mutmaßlichen Informanten im Außenministerium verfolgt. (http://wapo.st/115Hzqh) Der New York Times-Reporter David Sanger geriet wegen seiner Recherchen über geheime Computerangriffe auf den Iran ins Visier der Ermittler. Dem Investigativjournalisten Barrett Brown drohen 105 Jahre Haft, weil er einen bereits bekannten Link zu einer Seite mit gehackten E-Mails einer Sicherheitsfirma in einem Chatforum veröffentlichte. (http://bit.ly/15ypuYi) Angesichts der Häufung dieser Fälle sprach der Spiegel jüngst von einem „Kri eg gegen missliebige Medieninformanten“. (http://bit.ly/1aGtFT9)

 

Unter dem Eindruck der Kritik am scharfen Vorgehen der Behörden hat das US-Justizministerium Mitte Juli seine Anweisungen zum Umgang mit solchen Fällen überarbeitet. (http://1.usa.gov/12mkn9B) Dies ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, da es den Gebrauch von Zwangsvorladungen und Durchsuchungsbeschlüssen gegen Journalisten einschränkt. Fälle wie der des New York Times-Reporters James Risen deuten jedoch in die gegenteilige Richtung. Ein Gericht im US-Staat Virginia entschied jüngst, dass der Journalist im Prozess gegen einen früheren CIA-Mitarbeiter aussagen müsse, dem Geheimnisverrat vorgeworfen wird. (http://slate.me/15bPh7R) Risen hatte in einem Buch eine versuchte Geheimdienstoperation gegen das iranische Atomprogramm publik gemacht.

 

Obama bemüht sich inzwischen, im US-Senat eine Gesetzesinitiative von 2009 zum Informantenschutz wiederbeleben zu lassen. (http://bloom.bg/14oIxlO) Allerdings sieht dieser Entwurf einen weniger starken Schutz vor als eine ähnliche Initiative des Repräsentantenhauses (http://newsguild.org/node/3173), die derzeit ebenfalls erneut diskutiert wird. Vor allem enthält der Senatsentwurf weitreichende Ausnahmen vom Informantenschutz bei Belangen der nationalen Sicherheit und wäre deshalb bei Enthüllungen über Militär- und Geheimdienstaktivitäten wirkungslos. Die Überwachungen von AP und dem Fox-Reporter Rosen hätte er nicht verhindert. Den Begriff der Nachrichtenmedien definiert der Senatstext zudem so eng, dass ein solches Gesetz keinen Schutz für Internetplattformen wie Wikileaks sowie für viele Online-Reporter, Blogger und freie Journalisten bieten würde.

 

Reporter ohne Grenzen hat jüngst eigene Vorschläge für ein US-Gesetz zum Informantenschutz vorgelegt. (http://bit.ly/17DuT2u) Diese sehen vor, die Vertraulichkeit journalistischer Quellen unter Strafandrohung zu schützen. Verletzungen dieses Grundsatzes durch Amtsträger sollten als besonders schwerwiegend geahndet werden. Der Schutz muss auch für Blogger und Netzaktivisten gelten, die an der Verbreitung von Informationen mitwirken, außerdem für Dokumentarfilmer und Autoren journalistischer Bücher. Ausnahmen vom Prinzip des Quellenschutzes sollten nach diesem Entwurf auf eng umrissene Sonderfälle beschränkt werden, in denen Leib und Leben von Menschen in Gefahr sind oder ein unmittelbar drohender Angriff auf die territoriale Integrität abzuwenden ist.

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