Bündner Justiz auf Abwegen

Bezirksgericht Prättigau/Davos stoppt Beitrag im Tessiner Fernsehen

Die Konsumentenschutzsendung «Patti chiari» des Tessiner Fernsehens (RSI) will einen Beitrag über einen Fleischhändler ausstrahlen. Der Mann hat laut «Patti chiari» Kunden in der italienischen Schweiz mit Gammelfleisch beliefert.


In letzter Minute wird der Beitrag mit einer superprovisorischen Verfügung gestoppt, wie Reporter ohne Grenzen (ROG) am Freitag mitteilte.

Der Fleischhändler verkauft sein Fleisch an Spitäler, Altersheime und Private. Laut «Patti chiari» fälscht der Mann die Datumsangaben. Kaltblütig verkauft er altes Fleisch für frisches. Zudem deklariert der Fleischhändler seine Ware gar nicht oder falsch. Ein Skandal, der in der deutschen Schweiz kaum Beachtung findet. Im Tessin sorgt der dubiose Fleischhändler allerdings für grosse Aufregung.

 

Die Journalisten von «Patti chiari» recherchierten mehrere Monate im Umfeld des Händlers. Sie entdeckten Praktiken, die die geltenden Vorschriften für Fleisch grob verletzten.
Vergangenen Freitag um 21.05 Uhr stand der Beitrag bei «Patti chiari» auf dem Programm.

Es kam anders! Der Fleischhändler wollte beim Bezirksgericht Prättigau/Davos GR die Ausstrahlung verbieten lassen.


Der Richter gab ihm recht, stoppte den Beitrag mit einer superprovisorischen Verfügung. Reporter ohne Grenzen protestiert gegen das Verbot. ROG zeigt sich sehr erstaunt über den richterlichen Beschluss. «Wir halten den Entscheid für inakzeptabel», sagt Georg A. Hildebrand von ROG.  Reporter ohne Grenzen protestiert zudem gegen die Tatsache, dass der betreffende Richter seinen Entscheid getroffen hat, ohne die Gegenpartei, in diesem Falle die Autoren, anzuhören. Zu dieser Anhörung wäre der Richter gesetzlich verpflichtet gewesen.

 

Reporter ohne Grenzen ist überzeugt, dass dieser Entscheid sowohl die Pressefreiheit als auch das Recht der Bürger auf eine unabhängige Information schwer verletzt und verlangt, dass der richterliche Entscheid der superprovisorischen Massnahmen gegen die Sendung von «Patti chiari» sofort aufgehoben wird.

Der Entscheid des Bündner Richters ist für die ROG ein Rückschritt von mindestens 20 Jahren. Damals wurden die superprovisorischen Massnahmen ins Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) eingeführt. Oft wurden sie auf eine Art angewendet, die dem Willen des Gesetzgebers keineswegs entsprach.
Denn die Normen hatten nie zum Zweck, eine Präventivzensur einzuführen. Laut Art.28c des ZGB heisst es nämlich:
«Massnahmen dürfen nur in den Fällen ergriffen werden, wo eine journalistische Recherche einen besonders schweren Nachteil verursachen kann, offensichtlich kein Rechtfertigungsgrund vorliegt und die Massnahme nicht unverhältnismässig erscheint.»

 

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