Angesichts der Inhaftierung Dutzender Journalisten in der Türkei hat sich die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) besorgt über die Pressefreiheit in dem Land geäußert.
"Derzeit sitzen 57 Journalisten in der Türkei in Haft und die Anzahl der laufenden Prozesse, die zur Inhaftierung von Journalisten führen kann, wird auf 700 bis 1000 geschätzt", erklärte die OSZE-Medienexpertin Dunja Mijatovic am Montag aus Anlass der Vorstellung eines neuen Berichts der Organisation.
Klagen über Mangel an Medienfreiheit
Der Umgang der Türkei mit der Meinungs- und Pressefreiheit wird international kritisiert. Nach der Festnahme zweier Enthüllungsjournalisten hat sich die Lage zugespitzt. Ankara verbittet sich jede Einmischung.
Die Türkei diskutiert seit einiger Zeit heftig über die Presse- und Meinungsfreiheit im Land. Auslöser ist die Festnahme der beiden Enthüllungsjournalisten Nedim Şener und Ahmet Şık. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, Mitglied der Terrororganisation "Ergenekon" zu sein, die angeblich den Sturz der Regierung von Tayyip Erdogan geplant hat. Unter den Angeklagten befinden sich hochrangige Armeeoffiziere, Journalisten, Wissenschaftler und Kulturschaffende.
Der Türkei-Experte der 'Stiftung Wissenschaft und Politik' Günter Seufert meint: "Das verwirrende bei den letzten Festnahmen ist, dass diese Journalisten eigentlich früher versucht haben, genau
solche Komplotte aufzudecken. In der Türkei wird darüber gerätselt, wie ein Verfahren gegen ein solches Komplott praktisch selbst zu einem Komplott wird."
Jagd in eigener Sache?
Die Polizei interessierte sich auch für ein bisher unveröffentlichtes Buch von Ahmet Şık, an dem er vor seiner Festnahme arbeitete. Das Buch heißt "Die
Armee des Imams". Es befasst sich mit angeblich verdeckten Netzwerken in der türkischen Polizei, die aus Anhängern des in den USA lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen bestehen sollen.
Die Polizei durchsuchte die Redaktion der liberalen Tageszeitung "Radikal" und den Verlag "Ithaki", der das Buch veröffentlichen wollte. Dabei untersuchte sie einige Computer und entfernte
alle Kopien von den Festplatten. Allerdings haben soziale Netzwerke dieses Buchverbot unterlaufen. Die angebliche Original-Kopie des Buches wurde später im Internet veröffentlicht und über
soziale Netzwerke verbreitet. Journalist Aydın Engin bestätigte, dass diese Kopie dem Original-Entwurf entspricht.
Aufklärung gefordert
Die Staatsanwaltschaft hat
angefangen, auch gegen die Veröffentlichung im Internet zu ermitteln. Şıks Anwalt Fikret İlkiz betont, dass solche Handlungen die Medienfreiheit stark beeinträchtigen: "Es gibt eine
Gerichtsentscheidung, die anordnet, dass alle Kopien dieses Buches beschlagnahmt werden sollen." Denn das Buch werde als Beweismittel gesehen. Natürlich könne juristisch diese Entscheidung
angefochten werden, sagt İlkiz und fügt hinzu: "Wir haben das auch getan. Allerdings ohne Erfolg. Die Diskussionen über diesen Prozess konzentrieren sich eher auf die
Meinungsfreiheit."
Kritiker sagen, dass die islamisch-konservative AKP-Regierung die Fälle inzwischen benutzt, um Oppositionelle einzuschüchtern und mundtot zu machen. Laut Anthony Mills vom 'International
Press Institut', besteht die Sorge, dass Journalisten aufgrund ihrer Arbeit festgenommen werden: "Weil dieser Prozess gegen Nedim Şener und andere in aller Heimlichkeit stattfindet, fordern wir,
dass die Beweise und die Verdachtsmomente klar dargestellt werden, so dass die Vorwürfe von Journalisten in der Türkei und auch von internationalen Beobachtern - etwa von der EU oder der OSZE -
aufgeklärt werden können.“
Brüssel besorgt
Nach Angaben des 'International
Press Institute' ist die Zahl der festgenommenen Journalisten in der Türkei inzwischen auf mindestens 68 gestiegen. Auch die EU-Kommission und das Europaparlament zeigten sich besorgt
über die Verschlechterung der Pressefreiheit. Der auf Medienrecht spezialisierte Anwalt Fikret İlkiz vertritt die Meinung, dass die Gesetzeslage in der Türkei Journalisten unter Druck setzt:
"Wenn ich mir die Vorschriften anschaue, stelle ich fest, dass Journalisten unter Androhung von strafrechtlichen Prozessen arbeiten. Aber die Vorschriften sollten die Meinungsfreiheit als
Grundlage haben und strafrechtliche Prozesse sollten nur als letzte Möglichkeit in Anspruch genommen werden." Das vorhandene Strafgesetz ist İlkiz zufolge so formuliert, dass Journalisten in
ihrer Arbeit eingeengt und eingeschränkt werden können.
Nach den Festnahmen gingen hunderte Journalisten auf die Straße, um Unterstützung für ihre Kollegen zu demonstrieren. Sie kritisieren in ihren Medien das Vorgehen der Staatsanwälte und der
Regierung. Diese hingegen lehnt alle Vorwürfe ab und beruft sich auf die Unabhängigkeit der Justiz. Mittlerweile stehen im Zusammenhang mit den "Ergenekon"-Ermittlungen insgesamt 531
Personen - darunter auch Journalisten - unter Anklage. Die Anklageschrift umfasst 8.032 Seiten.
Quelle: Deutschlandfunk
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Werner (Dienstag, 21 Juni 2011 15:49)
Ein guter Artikel, der zum nachdenken anregen sollte. Viele Grüße, Werner
Mara (Donnerstag, 12 Januar 2012 18:08)
Die Türkei und die Medien und nun auch unserer Bundespräsident...