Am Montag beginnt in Istanbul ein Grossprozess gegen
35 Mitarbeiter überwiegend linker und prokurdischer Medien,
denen Propagandatätigkeit für die Union Kurdischer Gemeinschaften
(KCK) vorgeworfen wird. Zu den Betroffenen, die seit fast neun
Monaten in Untersuchungshaft sitzen, gehört auch der
Deutschlandkorrespondent der türkischen Tageszeitung «Evrensel»,
Hüseyin Deniz. Er war im Dezember 2011 bei einem Besuch in der
Türkei festgenommen worden.
Reporter ohne Grenzen (ROG) kritisiert diesen Prozess
scharf. «Die türkische Regierung missbraucht das umstrittene
Antiterrorgesetz, um unliebsame Stimmen in den Medien zum
Schweigen zu bringen», schreibt Reporter ohne Grenzen in einem
Kommuniqué. «Wir fordern ein Ende der Sondergerichtsbarkeit und
die Freilassung der zum Teil unter konstruierten Vorwürfen
festgenommenen Kollegen.»
Ende Dezember 2011 waren innerhalb weniger Tage rund
40 Journalisten festgenommen worden. Sie arbeiteten vorwiegend
für prokurdische Medien wie die Nachrichtenagenturen DIHA und
ETHA, die Tageszeitung «Özgür Gündem», das «Demokratik Modernite
Magazine» und das Verlagshaus Gün. Ihnen wird Nähe zur KCK
vorgeworfen, die die türkische Justiz als zivilen Arm der
verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans PKK ansieht.
Viele der Festgenommenen seien in Untersuchungshaft überführt
worden, ohne dass man ihnen die konkreten Vorwürfe mitgeteilt
habe, schreibt ROG. Die Akten seien als Geheimakten geführt und
ihren Anwälten vier Monate lang vorenthalten worden.
«Es ist absurd, wenn die Berichterstattung über die Kurdenfrage
automatisch mit der Mitgliedschaft in staatsfeindlichen
Organisationen gleichgesetzt wird», so Reporter ohne Grenzen.
Ähnliche Tabuthemen seien der Konflikt mit Armenien oder die
Geheimorganisation Ergenekon. Journalisten, die darüber
berichten, würden systematisch verfolgt.
Mehr als 90 Journalisten sitzen laut ROG derzeit in der
Türkei im Gefängnis. Meist werden ihnen Straftaten nach dem
umstrittenen Antiterrorgesetz zur Last gelegt. Es erlaubt,
Verdächtige vier statt der üblichen zwei Tage in Polizeigewahrsam
zu halten und ihnen in den ersten 24 Stunden den Kontakt zu
einem Anwalt zu untersagen. Oft erhalten selbst Verwandte erst
spät Informationen über den Verbleib der Verhafteten. Weil sie
Gefangene übermäßig lange in Untersuchungshaft hält, wird die
Türkei immer wieder international kritisiert und wurde mehrmals
vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt.
Eine Reform des Antiterrorgesetzes im Juli 2012 brachte nur
geringfügige Verbesserungen.
Die verhafteten Journalisten lassen sich das Publizieren
dennoch nicht verbieten. Seit Juli 2011 geben sie eine eigene
Zeitung heraus, die «Tutuklu Gazete». Sie erschien im Januar
2012 zum zweiten Mal als Beilage der Blätter, die durch die
Verhaftungswellen Kollegen verloren haben.
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