Prozess gegen zwei Polizisten

Berufungsverhandlung - Einladung zum öffentlichen Prozess gegen zwei Beamte der Stadtpolizei Zürich

Freitag, 1. April 2016  08:00 Uhr

Obergericht des Kantons Zürich, Grosser Gerichtssaal Hirschengraben 15  8001 Zürich


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Anklage der Staatsanwaltschaft gegen zwei Polizisten
Erst im Herbst 2014, eineinhalb Jahre nach dem Urteil des Bundesgerichtes und einer Beschwerde, kommt die Staatsanwaltschaft dem Befehl nach, Anklage gegen zwei Stadtpolizisten zu erheben.
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Urteil des Obergerichtes Zürich 2013
Der Schuldspruch gegen Rózsa wird aufgehoben. Die Stadtpolizei hätte den Fotografen Klaus Rozsa, der einen Polizeieinsatz dokumentierte, nicht verhaften dürfen. Das Obergericht billigt ihm ein Widerstandsrecht zu.
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Bundesgerichtsurteil Juni 2013
Das Strafverfahren gegen zwei Polizisten, die
den Pressefotografen Klaus Rozsa verhafteten,
ist laut Bundesgericht zu Unrecht eingestellt worden. Es muss Klage erhoben werden.
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Bild: Susann Wach © photoscene.ch
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Danke für die Unterstützung


Fotograf in Handschellen

Brutaler Polizeieinsatz gegen friedliche Fußballgegner in Zürich

Mit unglaublicher Härte und Brutalität ging die Züricher Polizei am 4. Juli auf Gegner der UEFA Euro 2008 los. Auch Journalisten wurden angegriffen, in ihrer Arbeit behindert und festgenommen.

Im leerstehenden Züricher Fußballstadion Hardturm waren an diesem Tag Konzert und Spiele der Gruppe „Brot und Aktion“ angesagt als Protest gegen die Fußballeuropameisterschaft. Polizeiwagen rasten mit Blaulicht und Sirene heran. Polizisten gingen mit Gummigeschossgewehren auf die friedlichen AktivistInnen los. Der Fotojournalist Klaus Rozsa beobachtete wie die Polizisten „ohne Vorwarnung aus kürzester Distanz“ auf die Leute schossen. Als der erfahrene Fotograf das Geschehen mit der Kamera festhalten wollte, wurde er schroff aufgefordert, aufzuhören und abzuhauen. Rozsa, der bis 2005 Präsident des Sektors Presse in der Mediengewerkschaft comedia war, weigerte sich, verwies auf seinen Presseausweis und die Pressefreiheit. Daraufhin wurde er brutal von zwei Polizisten zu Boden gedrückt und in Handschellen gelegt (siehe Bild). Ohne Angabe von Gründen wurde er über eine Stunde auf der Hauptwache Urania festgehalten. Es gab weder eine Vernehmung noch irgendein Protokoll. Nach diversen Beschimpfungen und Bedrohungen durch Polizisten, wurde er wieder auf die Straße gesetzt.

Comedia verurteilte den Einsatz der Züricher Polizei „auf das Schärfste“. „Mit diesem Vorgehen wird die verfassungsmäßig garantierte Pressefreiheit verletzt und ein Medienschaffender, der sich mit einem anerkannten Presseausweis legitimieren konnte, wurde an seiner Arbeit gehindert. Zusätzlich besorgniserregend ist, dass solche Fälle von Polizeiwillkür gegen Medienschaffende sich in letzter Zeit wieder häufen“, heißt es in einer Pressemitteilung. So wurde zum Beispiel im vergangenen Jahr ein Journalist der kritischen Wochen-Zeitung im Vorfeld einer Demonstration in Bern durch seine Verhaftung daran gehindert, über die Proteste zu berichten. Comedia verweist auf die Leitentscheidungen des Bundesgerichts und des Obergerichts Zürich aus dem Jahre 2002, wonach sich die Polizeibehörden gefallen lassen müssen, „dass ihre Interventionen von Medienschaffenden beobachtet, festgehalten und fotografiert werden“.

Rozsa erhält gewerkschaftlichen Rechtsschutz. Die Züricher Anwältin Regula Bähler hat am 31. Juli „Strafanzeige gegen Angehörige der Stadtpolizei Zürich“ gestellt. Die Staatsanwaltschaft wird aufgefordert „angesichts der absolut grundlosen, unverhältnismäßigen, willkürlichen und erniedrigenden Art und Weise, wie die Polizei gegen Klaus Ròzsa vorgegangen ist, zu prüfen, ob die Umstände der vorläufigen Festnahme die Tatbestände: der einfachen Körperverletzung, der Nötigung, der Freiheitsberaubung und des Amtsmissbrauchs erfüllen“. Ein Gerichtstermin steht noch nicht fest.

  Karin Wenk  (verdi.de)


Verhaftung eines Pressefotografen war rechtswidrig

Von Thomas Hasler.   26.08.2013 TA / BZ
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Die Stadtpolizei hätte den Fotografen Klaus Rozsa, der einen Polizeieinsatz dokumentierte, nicht verhaften dürfen. Das Obergericht billigte ihm ein Widerstandsrecht zu.

Mehr als fünf Jahre nach dem umstrittenen Vorfall beim Hardturmstadion hat das Zürcher Obergericht nun entschieden: Der heute 58-jährige Pressefotograf Klaus Rozsa hat sich nicht schuldig gemacht der mehrfachen Gewalt und Drohung gegenüber zwei Stadtpolizisten und auch nicht der mehrfachen Hinderung einer Amtshandlung. Grund – in kürzest möglicher Version: Weil es keinen Grund gab, ihn zu verhaften, war seine Arretierung rechtswidrig, und er durfte sich gegen seine Verhaftung wehren.

 «Brot & Äktschn» im Hardturmstadion

Am 4. Juli 2008 war das leer stehende Hardturmstadion besetzt worden. Bei der Aktion «Brot & Äktschn» kam es tatsächlich zu Action – nämlich zwischen den Besetzern, die feiern wollten, und der Polizei, die der Veranstaltung ein Ende setzen wollte. Klaus Rozsa, der seit 30 Jahren auf den Auslöser drückt, wenn in Zürich zwischen der Staatsmacht und Demonstranten die Fetzen fliegen, fuhr an jenem Freitag auf dem Weg zu einem anderen Anlass zufällig am Hardturmstadion vorbei, schnappte die Kamera im Auto, stieg aus und begann zu fotografieren.

Die Vorwürfe: Statt sich aus der Nähe der Polizisten zu entfernen, wie von diesen verlangt, habe Rozsa die Beamten beschimpft, sich zwischen zwei Beamte gestellt und so deren Sichtkontakt verhindert (Hinderung einer Amtshandlung). Als er einer Personenkontrolle unterzogen werden sollte, sei er zunächst weggerannt (Hinderung einer Amtshandlung). Dann habe er sich gegen das Anlegen von Handschellen gewehrt und weggehen wollen (Hinderung einer Amtshandlung).

Im anschliessenden Gerangel habe er einem Polizisten ans Bein gespuckt (Gewalt und Drohung gegen Beamte) sowie mit den Füssen gegen die ihn verhaftenden Beamten getreten und einen am Bein getroffen (Gewalt und Drohung gegen Beamte). Schliesslich soll Rozsa die Umstehenden aufgefordert haben, ihm zu helfen, was aber niemand getan habe (versuchte Hinderung einer Amtshandlung).

 Gegenseitig in herzlicher Abneigung zugetan

Das Bezirksgericht als Erstinstanz sprach Rozsa in zwei von sechs Punkten frei. Das Beschimpfen und das Zwischen-zwei-Beamten-Stehen, so die Einzelrichterin, habe keine Amtshandlung behindert. Und die Aufforderung an Umstehende, ihm zu helfen, sei nicht in der Absicht erfolgt, die Verhaftung zu verhindern. In den übrigen Punkten wurde der 58-Jährige schuldig gesprochen und zu einer bedingten Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 30 Franken verurteilt.

Diese Verurteilung hat das Obergericht jetzt aufgehoben. Warum? Die Polizisten hatten Rozsa einer Personenkontrolle unterziehen wollen, aus der heraus sich die Verhaftung ergab. Bloss: Die Personenkontrolle war «nicht angebracht», wie das Obergericht festhielt. Denn man wusste genau, mit wem man es zu tun hatte. Beide Parteien sind sich seit Jahren in herzlicher Abneigung zugetan. Rozsa sei auch nicht geflohen, sondern weggegangen. Dass er auf Befehl der Polizei nicht stehen blieb, sei zwar «ungehorsam», behindere aber keine Amtshandlung.

 Fotografieren hinderte Polizei nicht

Ob sich der Fotograf schliesslich mit Spucken und Treten gegen die Verhaftung wehrte, liess das Obergericht offen. Weil die Personenkontrolle nicht zulässig war, konnte die Polizei keinen Grund vorbringen, Rozsa zu verhaften. Die Festnahme war nicht verhältnismässig, sie war rechtswidrig. Und deshalb, so das Obergericht, hatte der 58-Jährige ein «Widerstandsrecht». Die Richter hielten in der mündlichen Urteilsbegründung unmissverständlich fest, Rozsa habe mit dem Fotografieren den Polizeieinsatz nicht behindert.

Trotzdem hatten sich die Polizisten durch Rozsas Anwesenheit und Fotografieren gestört gefühlt. Solche subjektiven Gefühle rechtfertigten das Vorgehen der Polizei nicht, stellte vor kurzem das Bundesgericht fest. Das höchste Gericht stellte die zentrale Frage, ob Rozsa unter dem Aspekt der Medienfreiheit überhaupt verpflichtet war, der Anweisung der Polizei zu gehorchen, nicht zu fotografieren und sich zu entfernen. Ein solcher Entscheid läge nicht im Belieben der Beamten.

 Nun droht Anklage gegen Polizisten

Das erwähnte Bundesgerichtsurteil hat auch mit dem Vorfall vom 4. Juli zu tun. Rozsa hat Strafanzeige gegen die Beamten wegen Amtsmissbrauch, Nötigung, Freiheitsberaubung und Körperverletzung eingereicht. Das Strafverfahren gegen die Polizisten aber wurde eingestellt. Diesen Entscheid hat das Bundesgericht aufgehoben. Es wies die Staatsanwaltschaft an, entweder einen Strafbefehl zu erlassen oder nach allfälliger Ergänzung der Untersuchung Anklage zu erheben. Nach Angaben des Verteidigers von Klaus Rozsa hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen die Polizisten noch nicht wieder aufgenommen. Offenbar wollte man zuerst das Urteil des Obergerichts abwarten.

Der Fotograf äusserte sich nach der Verhandlung erleichtert. Der Freispruch sei ein Sieg für die Medienfreiheit und ein Signal an die Stadtpolizei, sich endlich an Recht und Gesetz und ihre eigenen Dienstanweisungen zu halten. (Tagesanzeiger)

Schwere Rüge für Strafverfolger

Das Strafverfahren gegen zwei Polizisten, die den Pressefotografen Klaus Rozsa verhafteten, ist laut Bundesgericht zu Unrecht eingestellt worden.

 Von Thomas Hasler 

 Zürich/Lausanne – Am 4. Juli 2008 hatte Klaus Rozsa die polizeiliche Räumung des besetzten Hardturmstadions dokumentieren wollen. Der Pressefotograf wurde von der Polizei aber aufgefordert, den Ort des Geschehens zu verlassen.

Als er sich unter Hinweis auf seinen Pressestatus weigerte, wurde er verhaftet und auf dem Polizeiposten 90 Minuten lang festgehalten. Bei der Aktion zog er sich diverse Verletzungen zu. Rozsa reichte eine Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung, Nötigung, Amtsmissbrauch und Körperverletzung ein. Doch die Staatsanwaltschaft stellte das Strafverfahren ein. Rozsa sei zu Recht wegen Hinderung einer Amtshandlung verhaftet worden. Weil er sich gegen die «Anhaltung gesperrt» habe, habe er «die erlittenen Verletzungen selbst zu verantworten».

Die vom Obergericht bestätigte Einstellung des Strafverfahrens hat das Bundesgericht jetzt aufgehoben. Es wies die Staatsanwaltschaft an, gegen die beiden Polizisten einen Strafbefehl zu erlassen oder Anklage zu erheben. Im Urteil warf das Bundesgericht eine zentrale Frage auf: War Rozsa überhaupt verpflichtet, den Befehl zu befolgen, das Fotografieren zu unterlassen und sich vom Ort des Geschehens zu entfernen? Dieser Entscheid liege nicht im Belieben der Polizei.

Nur wenn die «hautnahe Präsenz» des Fotografen polizeiliches Handeln «in schwerwiegender Weise» behindere, komme eine Einschränkung der Medienfreiheit infrage.

Im konkreten Fall sei aber «unklar», ob Rozsa den Polizeieinsatz überhaupt behindert habe. Es genüge nicht, dass die Polizisten bloss «subjektiv» dieses Gefühl gehabt hätten. Auch der Transport auf den Polizeiposten hätte sich «erübrigt»: Rozsa habe sich vor Ort mehrfach ausweisen wollen. Die Strafverfolger hätten diese Zeugenaussagen aber nicht zur Kenntnis genommen. Insgesamt fehlte den Beamten damit ein Rechtfertigungsgrund für die Verhaftung.

Tages-Anzeiger – Mittwoch, 19. Juni 2013

Urteil des Bundesgerichts

Im Zweifel ist anzuklagen

brh. Der Fotograf Klaus Rozsa hat sich mit Erfolg dagegen gewehrt, dass die Zürcher Staatsanwaltschaft ihre Untersuchung gegen zwei von ihm beschuldigte Stadtpolizisten eingestellt hat.

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde Rozsas gut und weist die Strafverfolger an, die bereits getätigte Untersuchung allenfalls zu ergänzen, ein Strafbefehlsverfahren durchzuführen oder aber Anklage zu erheben – ganz im Sinne des Grundsatzes, dass im Zweifel anzuklagen ist, damit ein Gericht über die Sache entscheiden kann. «Bei zweifelhafter Beweis- bzw. Rechtslage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht», so die Lausanner Rechtsprechung. Auch das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen, das die Strafbarkeit ausschliesst, muss klar erstellt sein.

Rozsa wirft den Polizisten Freiheitsberaubung, Nötigung, Amtsmissbrauch und einfache Körperverletzung vor. Er hatte im Juli 2008 den Polizeieinsatz zur Beendigung der Hardturmstadion-Besetzung fotografiert, war dabei zu Boden gebracht, in Handschellen gelegt und abgeführt worden. Das Bundesgericht äussert Zweifel daran, ob die Festnahme und die damit verbundene Gewaltanwendung rechtmässig gewesen ist. Von einem klarerweise gerechtfertigten Verhalten der Polizisten könne keine Rede sein. Für das höchste Gericht steht aufgrund des Beweismaterials nicht fest, dass sich Rozsa der Hinderung einer Amtshandlung schuldig gemacht hat. Offen bleibe zudem, ob er dazu verpflichtet gewesen wäre, den Polizeibefehl zu befolgen, also das Fotografieren zu unterlassen und sich vom Ort des Geschehens zu entfernen.

Urteil 1B_534/2012 vom 7. 6. 13.

NZZ 19. Juni 2013

Weitere Artikel zum Freispruch von Klaus Rózsa

 

Fälle R. Elmer, M.K. Rózsa, Ch. Blocher zeigen: Zürcher Polizei, Strafverfolgung und Justiz verfilzt

 

http://gtrepp.blogspot.ch/2013/07/falle-r-elmer-mk-rozsa-ch-blocher.html


Die Basis zur Festnahme von Fotografen

Erst ein Machtwort des Bundesgerichts brachte die Zürcher Stadtpolizei

dazu, zwei geheim gehaltene Dienstanweisungen, die den Umgang der

Polizei mit der Presse regeln, offen zu legen.

Von Sascha Buchbinder

Bei Ausschreitungen in Zürich sind immer wieder nicht nur Randalierer

verhaftet worden, sondern auch Medienschaffende. Vor allem Fotografen

sind den Polizisten ein Dorn im Auge. Die Beamten fürchten, durch Fotos

zur Zielscheibe Militanter zu werden. Tatsächlich kursieren in der Szene

Flugblätter mit Fotos von Fahndern.

Doch dürfen Polizisten deswegen Pressefotografen an ihrer Arbeit

hindern? Seit 1998 versuchte der Fotograf und Gewerkschafter Klaus Rozsa

Einsicht in die Dienstanweisungen der Polizei zu bekommen, um mehr über

die Vorschriften der Beamten im Umgang mit der Presse zu erfahren.

Rozsas Bemühen ist dabei durchaus auch persönlich motiviert. Er selbst

sei, so Rozsa, in den letzten 20 Jahren zehnmal festgenommen und zweimal

von Polizisten verprügelt worden. Die letzte Festnahme erfolgte 1998,

die Rehabilitierung durch das Obergericht ist laut Rozsa diese Woche in

in aller Stille erfolgt.

 

Jahrelang Recht ignoriert

Anlass für die Intervention des Gewerkschafters war indessen in erster

Linie die Tatsache, dass 1998 das Strafgesetzbuch um einen für die

Medien wichtigen Artikel ergänzt wurde. Seit damals wird Journalisten

ein Recht auf Quellenschutz zugestanden. Rozsa bezweifelte, dass die

Stadtpolizei dem geänderten Recht Rechnung tragen würde und verlangte

Einsicht in die Dienstanweisungen. Das war der Beginn einer jahrelangen

Eiszeit zwischen dem Gewerkschafter und dem städtischen

Polizeidepartement.

 

Gestern dann die Wende: Abends um 18.38 Uhr teilte die Stadtpolizei mit,

dass sie «im Rahmen einer offenen Informationspolitik» - und gezwungen

durch ein gleichentags eingetroffenes Bundesgerichtsurteil - die

Dienstanweisungen offen lege. Allerdings handle es sich dabei um eine

überarbeitete Version, die dem seit 1998 geltenden Quellenschutz

angepasst wurde. Das Datum der Änderung zeigt, dass sich die

Stadtpolizei bis 18. Oktober 2002 Zeit liess. Zufälligerweise ist der

18. Oktober auch der Tag, an dem das Bundesgericht Rozsa Recht gegeben

hatte.

Grundsätzlich hält die Dienstanweisung unmissverständlich fest, dass

Fotos und Videos in der Öffentlichkeit gemacht werden dürfen. Werden

Polizisten in der Öffentlichkeit gefilmt, müssen sie sich das gefallen

lassen - und zwar nicht nur von Presseleuten, sondern von jedem Bürger.

Unstatthaft ist laut Stadtpolizei hingegen, wenn «erkennbar

Porträtaufnahmen erstellt» werden. Als Porträts gelten Bilder «von

Einzelpersonen, ohne dass damit eine bestimmte Handlung verbunden wäre».

In diesen Fällen dürfe ein Polizist die Aufnahme verbieten, die Linse

zudecken oder die Vernichtung von Foto und Negativ verlangen. Sei der

Fotograf dazu nicht bereit, müsse der Polizist zivilrechtliche gegen den

Fotografen vorgehen. Laut Polizei ist «dazu die Erhebung der Personalien

geboten». Auch dürfe der Polizist beim Richter «das Zurückbehalten des

Bildmaterials in Form einer vorsorglichen Massnahme» verlangen. Das

Polizeikommando müsse dabei informiert werden, will dann aber die

Polizisten unterstützen.

 

Quellenschutz mit Einschränkung

Ein weiterer heikler Punkt ist die Frage, ob die Polizei Filme

beschlagnahmen darf, um an Beweismaterial zu kommen. Die Stadtpolizei

anerkennt neu das Recht der Medienleute auf Quellenschutz. Wenn ein

Journalist sich auf dieses Recht berufe und «Unklarheiten» über die

Rechtmässigkeit bestehen, entscheide die Untersuchungsbehörde. Die Filme

können demnach weiterhin sichergestellt werden, sie werden aber

versiegelt - bis die Untersuchungsbehörden oder die Gerichte entschieden

haben.

Rozsa sieht nach Bekanntwerden der Anweisungen seinen Verdacht

bestätigt, dass sich die Polizei jahrelang um geltendes Recht foutiert

hat und verlangt den sofortigen Rücktritt der Polizeivorsteherin Esther

Maurer, die dies toleriert habe.

[02.11.2002] TAGESANZEIGER




Obergericht rehabilitiert Klaus Rozsa

Fast 10 000 Franken Schadenersatz und Genugtuung

30. Oktober 2002

 

Der bekannte Politaktivist Klaus Rozsa hat vor dem Obergericht Recht bekommen. Die Kosten für ein Strafverfahren, das im Rahmen einer Demonstration gegen den Journalisten eingeleitet wurde, muss der Staat tragen. Eine Aussage von Polizeivorsteherin Esther Maurer stelle zudem eine schwere Verletzung von Rozsas Persönlichkeitsrechten dar. Ihm wurde deshalb eine Genugtuungssumme zugesprochen.

-yr. Der Berufsphotograph und Gewerkschafter Klaus Rozsa ist von der III. Strafkammer des Obergerichts vollumfänglich rehabilitiert worden. In einem auf schriftlichem Weg geführten Rekursverfahren hob das Obergericht den Entscheid der Vorinstanz auf. Diese hatte Rozsa nach der Einstellung eines Strafverfahrens wegen Nötigung die Hälfte der Kosten übertragen. Das Obergericht unter dem Vorsitz von Christoph Spiess verordnete nicht nur, dass die gesamten Kosten von der Staatskasse zu übernehmen seien. Es sprach dem 48-jährigen Rozsa zudem Schadenersatz- und Genugtuungssummen sowie eine Prozessentschädigung von insgesamt fast 10 000 Franken zu. Dies geht aus dem rechtsgültigen Urteil hervor, das den Parteien kürzlich zugestellt wurde.

Umstrittener «Bruderkuss»

Auslöser für das Rekursverfahren war eine Demonstration vom 13. Januar 1998 vor dem Büro der damaligen Fremdenpolizei in Zürich 4, wo einige Dutzend Demonstranten vorübergehend den Eingang blockierten. Sie forderten die Freilassung des Chilenen Patricio Ortiz, gegen den damals ein Auslieferungsgesuch hängig war. Der Journalist Klaus Rozsa, der inzwischen auch Präsident des Stadtzürcher Gewerkschaftsbundes ist, photographierte und filmte die Demonstration. Gemäss Untersuchungsbericht trug er eine Jacke mit der Aufschrift «SF DRS», für das er in jener Zeit als freier Mitarbeiter tätig war. Noch während der Demonstration wurde Rozsa zusammen mit mehreren Kundgebungsteilnehmern für einige Stunden festgenommen. Gegen die Verhafteten, inklusive Rozsa, wurden darauf Strafverfahren wegen Nötigung eingeleitet.

Das Verfahren gegen den Journalisten und bekannten Linksaktivisten wurde später von der Bezirksanwaltschaft eingestellt. Die Verfahrenskosten von 880 Franken wurden Rozsa auferlegt. Dagegen rekurrierte er beim Einzelrichter des Bezirksgerichts. Dieser entschied, Rozsa und der Staat hätten die Kosten je hälftig zu tragen. Begründet wurde das Urteil damit, dass der Journalist die Einleitung des Strafverfahrens mitverschuldet habe. So habe er sich nicht wie ein kritischer Beobachter verhalten, sondern sich mit den Demonstrationsteilnehmern freundschaftlich unterhalten und einzelne sogar mit einem «Bruderkuss» begrüsst. Gegen dieses Urteil des Einzelrichters reichte Rozsa erneut Rekurs ein.

Das Obergericht schliesslich befand, dass das freundschaftliche Verhalten inklusive «Bruderkuss» weder ein Verstoss gegen eine geschriebene oder ungeschriebene Norm unserer Rechtsordnung darstelle noch gegen Treu und Glauben oder Sitte und Anstand verstosse. Weil zudem durch die Kleidung klar ersichtlich gewesen sei, dass Rozsa seinem Beruf als Foto- und Videojournalist nachgegangen sei, könne sein Handeln nicht als tadelnswert angesehen werden, heisst es im Urteil. Somit seien die Voraussetzungen nicht erfüllt, die Verfahrenskosten oder einen Teil davon dem Journalisten zu übertragen.

Stadträtin Maurer zurechtgewiesen

Im Weiteren anerkannte das Obergericht diverse Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen Rozsas. So wurde der Vorfall auf Grund einer Interpellation auch im Gemeinderat thematisiert. Polizeivorsteherin Esther Maurer verteidigte damals in der Interpellationsantwort die vorübergehende Festnahme Rozsas und beschrieb sein Verhalten als «aggressiv und bis an die Grenzen der Legalität gehend». Diese Formulierung von Stadträtin Maurer stellt gemäss Obergericht einen schwerwiegenden Eingriff in Rozsas Persönlichkeitsrechte dar. Es spricht ihm deshalb eine Genugtuung von 800 Franken zu. Weitere 800 Franken Genugtuung erhält Rozsa, weil über den Vorfall in den Medien berichtet wurde.

Wegen nachgewiesenen Lohnausfalls während der mehrstündigen Festnahme erhält er zudem Schadenersatz in Höhe von 2650 Franken. Nochmals 2000 Franken werden im Urteil als Umtriebsentschädigung für zwei Einvernahmen verbucht. Hinzu kommen Prozessentschädigungen von 1500 Franken für das erstinstanzliche Verfahren und 400 Franken für das Rekursverfahren. Inklusive Mehrwertsteuer und 5 Prozent Verzinsung seit Anfang 1998 beläuft sich der gesamte Betrag, der Rozsa somit vom Obergericht zugesprochen wurde, auf fast 10 000 Franken. - Die Staatsanwaltschaft hat keine Beschwerde erhoben, das Urteil ist somit rechtskräftig.

Neue Zürcher Zeitung 30.10.2002

Comedia im Clinch mit Zürcher Stadtpolizei

Mediengewerkschaft kritisiert Umgang mit Journalisten

ekk. Die Mediengewerkschaft Comedia hat am Donnerstag das Verhältnis der Zürcher Stadtpolizei zu Journalisten, Photographen und Videojournalisten kritisiert. Bei der Gewerkschaft meldeten sich regelmässig Medienschaffende, die von der Polizei schikaniert, drangsaliert, in ihrer Arbeit behindert oder festgenommen worden seien, hiess es an einer Pressekonferenz. Auf Grund dieser Beobachtungen sei Comedia zum Schluss gekommen, dass es sich dabei nicht um Einzelfälle, sondern um ein systematisches Problem der Polizeikräfte mit den Medien handle. Deshalb habe man sich entschlossen, in die Offensive zu gehen.

Die Stadtpolizei will die Vorwürfe laut Reto Casanova, dem Sprecher von Stadträtin Esther Maurer, zuerst juristisch abklären lassen, bevor sie sich im Detail dazu äussere. Für den kommenden Mittwoch kündigte er ein Mediengespräch an. Polizeivorsteherin Esther Maurer werde dann auf die Anschuldigungen eingehen. Casanova hielt fest, die Stadtpolizisten würden für den Umgang mit Journalisten geschult. Ein Presseausweis sei ausserdem kein Freipass; auch Journalisten müssten sich den Anweisungen der Polizei fügen.

Die Gewerkschafter beriefen sich in ihren Ausführungen in erster Linie auf Vorkommnisse im Umfeld von Kundgebungen, darunter der unbewilligten Nachdemonstration vom letzten 1. Mai. Mindestens drei Journalisten seien vorläufig festgenommen worden, mehrere hätten Fotos und Filme abgeben müssen. Die Stadtpolizei berufe sich dabei jeweils auf eine interne Dienstanweisung, wonach Polizisten keine Porträtaufnahmen von sich dulden müssten. Stadträtin Maurer habe ein Gesuch von Comedia um Herausgabe dieser Dienstanweisung abgelehnt und damit ein früheres Versprechen gebrochen, sagte Klaus Rozsa, Präsident des Gewerkschaftsbundes der Stadt Zürich. Weil der Entscheid der Polizeivorsteherin von sämtlichen kantonalen Instanzen geschützt worden sei, hat Comedia gestützt auf ein rechtliches Gutachten eine staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht, wie an der Medienkonferenz bekannt gegeben wurde.

Comedia stellte einen Forderungskatalog auf und verlangt bessere Arbeitsbedingungen für Medienschaffende, darunter die Durchsetzung des Zeugnisverweigerungsrechts sowie Namens- oder Nummernschilder für Polizisten im Einsatz.


Nr. 60/2002: Informationsfreiheit während Polizeieinsätzen im unfriedlichen Ordnungsdienst; Stellungnahme des Presserates vom 5. Dezember 2002

I. Sachverhalt

 

A. Im Mai und Juni 2002 kritisierten Medienschaffende die Stadtpolizei Zürich für ihr Vorgehen bei der Sicherstellung von Bildmaterial von Pressefotografen. So erschien zum Beispiel am 6. Juni 2002 auf der Medienseite des «Tages-Anzeigers» ein Artikel mit dem Titel: «Reporter: Näher als die Polizei erlaubt». Darin wird beklagt, dass die Zürcher Stadtpolizei bereitwillig die Türen zu Polizeiwachen und Kripobeamten öffne, wenn es um Medienberichte im Stil von Publireportagen ginge. Hingegen habe die Stadtpolizei bei einer unbewilligten Kundgebung am 1. März 2002 die Medienschaffenden hinter eine Absperrung verwiesen, als Demonstranten mit Tränengas, Gummischrot und Wasserwerfern zusammengetrieben worden seien.

B. Am 23. Mai 2002 wandte sich die Mediengewerkschaft Comedia an die Öffentlichkeit und kritisierte Übergriffe auf Bildjournalisten bei Polizeieinsätzen der Zürcher Stadtpolizei im unfriedlichen Ordnungsdienst. Unter anderem seien am 1. Mai 2002 Medienschaffende durch Polizisten bei der Arbeit behindert, teilweise drangsaliert und auch verhaftet worden. Comedia kritisierte schon zuvor mehrmals, dass Fotografen und Videojournalisten im Einsatz bei Kundgebungen mit Festnahmen und der Beschlagnahmung von Filmmaterial rechnen müssten. Ausserdem forderte die Gewerkschaft, dass die Zürcher Stadtpolizei ihre bisher stets geheimgehaltenen internen Dienstanweisungen zum Umgang mit Medienschaffenden veröffentlicht.

C. An einem Mediengespräch am 29. Mai 2002 hielt der Kommandant der Zürcher Stadtpolizei, Philipp Hotzenköcherle, fest: «Wir weisen unsere Beamten im Ordnungsdienst-Einsatz an, von Konfiskationen abzusehen. Allerdings kommt es vor, dass einzelne Journalisten die Polizei bei der Erfüllung ihres Auftrages behindern, indem sie sich permanent in ihrer unmittelbaren Nähe aufhalten und sich auch vor angekündigten Polizeieinsätzen - trotz Aufforderung - nicht entfernen. Das allerdings stellt einen Grund bzw. für die Polizei die Pflicht dar, Personen - auch Journalisten -, die diesen Tatbestand erfüllen, festzunehmen. Mit einer solchen Festnahme ist - gemäss Strafprozessordnung - auch die Sicherstellung ihrer Effekten, inklusive Kamera und Filmmaterial, verbunden. Journalisten können gegenüber polizeilichen Anweisungen kein Ausnahmerecht geltend machen. Ihr Auftrag zur Berichterstattung wird von keiner Instanz als Rechtfertigungsgrund für das Nichtbefolgen polizeilicher Anweisungen bzw. die Hinderung einer Amtshandlung geschützt werden.»

D. Presserats-Präsident Peter Studer zeigte sich besorgt über die Vertrauenskluft zwischen Zürcher Stadtpolizei und Medien, die sich nach gewaltsamen Polizeieinsätzen einerseits, scharfer Medienkritik andererseits aufgetan habe. Er beantragte deshalb Ende Mai 2002 dem Plenum, die umstrittene Beschlagnahme von Bildmaterial von sich aus aufzugreifen und eine Stellungnahme dazu zu erarbeiten. Dieser Antrag wurde vom Plenum per 4. Juni 2002 gutgeheissen.

E. Gemäss Beschluss des Presseratsplenums vom 9. November 2001 haben Mitglieder, die den Antrag stellen, der Presserat solle von sich aus ein Verfahren einleiten, eine Beschwerdebegründung zu erstellen. Bei der nachfolgenden materiellen Behandlung der Beschwerde haben sie in den Ausstand zu treten. Seine Beschwerde vom 15. Juli 2002 begründete Peter Studer wie folgt: Die heutige Praxis der Zürcher Stadtpolizei verletze drei Punkte der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Und zwar Ziffer 1 und Richtlinie 2.1 der Pflichten, weil im unfriedlichen Ordnungsdienst der Bewegungsspielraum der Text- und Bildreporter zur verantwortungsvollen Wahrheitsermittlung nicht gewährleistet sei. Sowie Buchstabe a der Rechte, weil Text- und Bildreporter im unfriedlichen Ordnungsdienst der Zürcher Stadtpolizei weder freien Zugang zu öffentlichen Informationsquellen hätten, noch unbehindert ermitteln könnten. Peter Studer beantragte, praxisnahe Empfehlungen für den unfriedlichen Ordnungsdienst auszuarbeiten sowie die medienethischen Regeln zur Unschuldsvermutung und zum Grundsatz der Nichtidentifizierung bei der Berichterstattung über angebliche Polizeiübergriffe zu bestätigen.

F. Das Präsidium des Presserates übertrug die Behandlung der Beschwerde der 3. Kammer, der Esther Diener-Morscher als Kammerpräsidentin sowie Judith Fasel, Gina Gysin, Peter Liatowitsch, Roland Neyerlin, Daniel Suter und Max Trossmann angehören. Die Kammer behandelte die Beschwerde an ihren Sitzungen vom 15. August, 17. Oktober und 5. Dezember 2002.

G. Am 1. November 2002 gab die Stadtpolizei Zürich in einer Medienmitteilung bekannt, gemäss einem an diesem Tag eingegangenen Urteil des Bundesgerichts sei einem beschwerdeführenden Journalisten das Recht zugestanden worden, in die zwei Dienstanweisungen Einsicht zu nehmen, welche das Verhalten der Polizeiangehörigen gegenüber den Medienschaffenden regelten. Im Rahmen einer offenen Informationspolitik stelle das Kommando der Stadtpolizei Zürich den Medien die zur Frage stehenden Dienstanweisungen zur Verfügung. Die Dienstanweisung Nr. 8903 sei überarbeitet worden. Insbesondere sei der Hinweis auf die Möglichkeit der polizeilichen Sicherstellung von Bildträgern wegen des Verdachts auf unzulässige Porträtaufnahmen von Polizeiangehörigen bewusst weggelassen worden. Neu seien hingegen die Voraussetzungen und das Vorgehen bei der Sicherstellung von Bild- und Tonträgern zur Beweissicherung von strafbaren Handlungen aufgenommen worden. Dabei sei auch der seit 1998 geltende Quellenschutz von Art. 27bis StGB berücksichtigt worden.

Das Bundesgericht führt in seinem Urteil vom 18. Oktober 2002 (1P.240/2002 /RrF, Erw. 3.2.1) aus, der Beschwerdeführer «kann mit guten Gründen geltend machen, durch die Dienstanweisungen in seiner praktischen Tätigkeit als Medienschaffender (...) betroffen zu sein. (...) Der Beschwerdeführer ist von konkreten Massnahmen wie der Festnahme und der Beschlagnahmung und Visionierung des Foto- und Videomaterials betroffen gewesen. Diese Massnahmen sind klarerweise mit den Dienstanweisungen in Zusammenhang gebracht worden. Bei dieser Sachlage besteht ein schutzwürdiges Interesse daran, in die Dienstanweisungen Einblick zu nehmen, sei es, um das Vorgefallene nachträglich beurteilen zu können, sei es, um sich in Zukunft bei entsprechenden Gelegenheiten Ðregelkonform? und ohne Risiko vor weiteren Massnahmen verhalten zu können.»

 


II. Erwägungen

 

1. Die Vertrauenskluft zwischen Polizei und Medienschaffenden in Zürich betrifft auch Bereiche, die Gegenstand der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» sind. Das Recht der Medienschaffenden auf freien Zugang zu öffentlichen Informationsquellen und auf unbehinderte Ermittlung der Wahrheit («Erklärung der Rechte», Buchstabe a) sowie die Pflicht der Medienschaffenden, die Informationsfreiheit zu verteidigen (Richtlinie 2.1 zur «Erklärung»), kann im Einzelfall zum Konflikt mit der Polizei führen, die sich durch die Medienschaffenden in ihrer Arbeit behindert und zum Teil auch im Persönlichkeitsrecht verletzt sieht (Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten»).

2. Es würde die Möglichkeiten des Presserats übersteigen, den genauen Ablauf der Konflikte zwischen der Zürcher Stadtpolizei und den betroffenen Medienschaffenden in einem Beweisverfahren aufzuarbeiten und alle Seiten angemessen anzuhören. Der Presserat kann aber, ohne die konkreten Vorkommnisse zu werten, Stellung dazu nehmen, welche für die Medienschaffenden relevanten Praktiken und Massnahmen bei Polizeieinsätzen im unfriedlichen Ordnungsdienst grundsätzlich mit den medienethischen Forderungen der «Erklärung» vereinbar sind und welche nicht. In wie weit die Medienschaffenden bei den konkreten Fällen die medienethischen Pflichten einhielten oder einhalten konnten, muss demgegenüber offen bleiben.

3. a) Ziffer 1 der «Erklärung» verpflichtet die Medienschaffenden dazu, sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten zu lassen, die Wahrheit zu erfahren. Sie müssen gemäss Richtlinie 2.1 zur «Erklärung» die Freiheit der Information verteidigen. Und sie haben gemäss Buchstabe a der «Erklärung der Rechte» auch freien Zugang zu allen Informationsquellen und die Freiheit zur unbehinderten Ermittlung aller Tatsachen, die von öffentlichem Interesse sind. Die Geheimhaltung öffentlicher oder privater Angelegenheiten kann dabei den Journalistinnen und Journalisten gegenüber nur in Ausnahmefällen und nur mit klarer Darlegung der Gründe geltend gemacht werden.

b) Das Verhalten von Polizisten und anderen Beteiligten im unfriedlichen Ordnungsdienst ist von öffentlichem Interesse. Medienberichte ermöglichen eine gewisse Kontrolle darüber, wie das Gewaltmonopol des Staates durch die Polizei wahrgenommen wird. Diese stellvertretend für die Öffentlichkeit ausgeübte Kontrolle ist gerade in besonders heiklen Situationen nicht gewährleistet, wenn Text- und Bildreporter bei Polizeieinsätzen im unfriedlichen Ordnungsdienst weggewiesen werden.

4. Wenn sich Medienschaffende bei ihren Berichten einzig auf die Angaben der Medienstelle der Polizei stützen können, kommen sie ihrer Pflicht zur Wahrheitssuche und zur Verteidigung der Informationsfreiheit ungenügend nach. Sie müssen sich darüber hinaus auch ein eigenes Bild von den Vorkommnissen machen können. Dazu ist es unabdingbar, dass die Journalistinnen und Journalisten bei Polizeieinsätzen vor Ort anwesend sind. Wünschbar wäre es zudem, dass sie einzelne Polizeibeamte und -beamtinnen direkt befragen könnten. Doch ist es nach medienethischen Gesichtspunkten nicht grundsätzlich unhaltbar, wenn sich Medienschaffenden für gewisse Informationen an eine zentrale Auskunftsstelle verweisen lassen, wie dies in der offenbar unverändert geltenden Dienstanweisung 8201 der Stadtpolizei Zürich vom 30. März 1982 vorgesehen ist. Solche Medienstellen sind auch bei anderen Behörden und bei Firmen üblich. Nur darf dadurch der Informationsfluss nicht beeinträchtigt werden. Die Medienstelle sollte aktuell, wenn möglich sogar vor Ort informieren können. Es ist aus der Sicht der Leserschaft nicht nachvollziehbar, wenn Medien erst mit ein- oder zweitägiger Verzögerung über Vorfälle bei Polizeieinsätzen informieren können, weil die Medienstelle der Polizei zur Zeit des Ereignisses nicht erreichbar war oder keine Informationen vermitteln konnte.

5. a) Zur Wegweisung von Medienschaffenden äusserte sich der Regierungsrat des Kantons Zürich gemäss dem entsprechenden Protokollauszug anlässlich des Rekurses eines betroffenen Fotografen an seiner Sitzung vom 6. März 2002 wie folgt: «Gerade bei Einsätzen im unfriedlichen Ordnungsdienst ist die Möglichkeit von Störungen und Gefährdungen besonders hoch, und die Polizei kann alle Personen, die zur Störung oder Gefährdung beitragen, den entsprechenden polizeilichen Einsatz stören oder die sich durch ein Verbleiben an Ort einer Gefährdung aussetzen, wegweisen.» Und André Müller, Chef des Rechtsdienstes der Stadtpolizei Zürich, äusserte sich in einem Artikel im «Tages-Anzeiger» vom 6. Juni 2002 wie folgt: «Es besteht die Gefahr, dass in heiklen Situationen Medienschaffende nicht mehr von gewaltbereiten Demonstranten unterschieden werden können. Es geht uns eben auch darum, Journalisten vor gewalttätigen Auseinandersetzungen zu schützen.»

b) Mit der Begründung, Medienschaffende könnten sich mit dem Verbleib an einer Kundgebung einer Gefährdung aussetzen oder die Polizeiarbeit stören, kann sich die Polizei allerdings jeglicher medialen Kontrolle ihrer Tätigkeit entziehen, was unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Kontrolle der Tätigkeit staatlicher Behörden inakzeptabel ist. Ebenso wenig dürfen sich Journalistinnen und Journalisten solches unter dem Gesichtspunkt der «Erklärung der Pflichten und Rechte» gefallen lassen. In der Regel verhalten sich Journalist/innen und Fotograf/innen anders als gewalttätige Demonstrantinnen. Sie bewegen sich mehr am Rande des Geschehens und sollten als unbeteiligte Dritte zu erkennen sein. Zur Vermeidung einer allfälligen Verwechslungsgefahr zwischen Medienschaffenden und Teilnehmer/innen von Kundgebungungen gibt es zudem die Möglichkeit, dass sich Medienschaffende speziell kennzeichnen, wie das zum Beispiel auch an grösseren Sportveranstaltungen oft der Fall ist.

6. Ziffer 4 der «Erklärung» auferlegt den Medienschaffenden die Pflicht, sich bei der Beschaffung von Informationen keiner unlauteren Methoden zu bedienen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es keinesfalls zu rechtfertigen, wenn Medienschaffende an einer unfriedlichen Kundgebung, über die sie berichten sollten, Polizeieinsätze vorsätzlich behindern oder stören. In solchen Fällen fällt auch die Berufung auf die Richtlinie 4.2 zur «Erklärung» (Zulässigkeit verdeckter Recherchen bei überwiegendem öffentlichen Interesse an einer Berichterstattung) ausser Betracht, da Informationen über Polizeieinsätze im unfriedlichen Ordnungsdienst ohne aktive Teilnahme beschafft werden können.

7. a) Bei der Veröffentlichung von Bildaufnahmen müssen sich Medienschaffende an Ziffer 7 der «Erklärung» halten. Danach haben sie die Privatsphäre von Personen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Auch Polizistinnen und Polizisten haben grundsätzlich einen Anspruch auf Wahrung ihrer Privatsphäre. Dies gilt auch in Bezug auf die Veröffentlichung von Fotografien oder Filmaufnahmen (Richtlinie 7.3 zur Erklärung; Recht am eigenen Bild). Im Einzelfall ist dementsprechend abzuwägen zwischen der im öffentlichen Interesse liegenden, stellvertretend durch die Medien wahrgenommenen, Kontrolle von - naturgemäss in der politischen Auseinandersetzung meist umstrittenen - Polizeieinsätzen im unfriedlichen Ordnungsdienst und dem legitimen Anspruch der einzelnen Polizistinnen und Polizisten, nicht als individuelle Zielscheibe der Medienberichterstattung blossgestellt zu werden.

b) Der Presserat ist in der Stellungnahme 6/99 i.S. X. c. «Blick» / «SonntagsZeitung» zum Schluss gelangt, dass der Name eines höheren Justizbeamten in der Medienberichterstattung genannt werden darf, wenn gegen diesen schwerwiegende und konkrete strafrechtliche Vorwürfe erhoben werden, die in einem direkten Zusammenhang mit seinem Amt stehen und die das gute und unabhängige Funktionieren der Justiz in Frage stellen. In analoger Übertragung dieser Überlegung auf die Bildberichterstattung ist zu folgern, dass eine einen einzelnen Beamten identifizierende Bildberichterstattung bei Polizeieinsätzen im unfriedlichen Ordnungsdienst umso eher zu rechtfertigen ist, je höher die Funktion des Betroffenen im Polizeikorps anzusiedeln ist.

c) In der Stellungnahme 50/2001 i.S. M. c. «20 Minuten» hat der Presserat weiter darauf hingewiesen, dass wer im öffentlichen Raum freiwillig und bewusst für ein Anliegen demonstriert, damit rechnen muss oder zumindest in Kauf nimmt, dass die Medien über diesen Anlass gegebenenfalls mit identifizierenden Bildern berichten. Im Gegensatz zu privaten Situationen, bei denen der Schutz der Privatsphäre die Einwilligung des Betroffenen erfordert, müssen Medienschaffende in solchen Situationen nicht danach fragen, ob sie fotografieren respektive filmen dürfen. Diese für Demonstrierende aufgestellten Grundsätze gelten auch für Polizeibeamt/innen. Wenn sie sich für diese berufliche Laufbahn entscheiden, üben sie - selbst wenn sie in einer unteren Hierarchiestufe tätig sind - eine öffentlich wahrnehmbare und der Kontrolle der Öffentlichkeit unterliegende Funktion aus. Dementsprechend haben sie es ebenso wie Demonstrant/innen in Kauf zu nehmen, wenn sie bei öffentlichen Einsätzen im Rahmen der Ausübung ihrer polizeilichen Funktion auch einmal in identifizierbarer Weise abgebildet werden. Der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer Berichterstattung und dem Interesse auf Wahrung ihrer Privatsphäre sowie dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit ist insbesondere bei der Auswahl des zu veröffentlichenden Bildmaterials (in der Regel keine Nahaufnahmen) Rechnung zu tragen. In eine ähnliche Stossrichtung zielt nun offenbar auch die überarbeitete Dienstanweisung der Stadtpolizei Zürich betreffend Bildaufnahmen von Polizeiangehörigen und Sicherstellung von Bild-, Ton-, und Datenträgern vom 18. Oktober 2002. Geht doch diese davon aus, dass sich Polizeiangehörige bei Erfüllung ihres Dienstauftrages grundsätzlich im Gemeinbereich bewegen und deshalb auch durch identifizierende Bildaufnahmen nicht in ihrer Persönlichkeit verletzt werden. Ein Vorbehalt wird lediglich gegenüber eigentlichen aus nächster Nähe oder mit Teleobjektiv gemachten Porträtaufnahmen angebracht, denen das Recht am eigenen Bild entgegenstehe.

8. Keinesfalls vermag es der Schutz der Privatsphäre von Polizistinnen und Polizisten aber zu rechtfertigen, Bildmaterial von Journalistinnen und Journalisten vorsorglich zu beschlagnahmen, zu visionieren oder zu vernichten. Medienschaffende haben gemäss der Richtlinie 6.1 zur «Erklärung» die Pflicht, das Redaktionsgeheimnis zu wahren und damit ihre Quellen (Notizen, Ton- und Bildaufnahmen) zu schützen. Wenn Medienschaffende der Polizei Filmmaterial und Bildaufnahmen abgeben müssen, widerspricht dies ihrer Berufspflicht. Selbst bei einer Verhaftung eines Journalisten und Beschlagnahme seiner Effekten, ist dieser berufsethisch verpflichtet, sich gegebenenfalls durch Ergreifung von Rechtsmitteln dagegen zur Wehr zu setzen, dass seine Aufnahmen polizeilich visioniert, verwertet oder vernichtet werden. Die bereit erwähnte überarbeitete Dienstanweisung 8201 der Stadtpolizei Zürich hält ihrerseits ausdrücklich fest, dass eine Sicherstellung von Bildträgern oder Kameras auch dann zu unterlassen ist, wenn eine Bildaufnahme nach Auffassung des betroffenen Polizeibeamten in unzulässiger Weise in dessen Privatsphäre eingreift. Ebenso wird in der genannten Dienstanweisung nun zumindest darauf hingewiesen, dass Berufsjournalist/innen nach Massgabe von Art. 27bis StGB die Herausgabe des von ihnen erstellten Bild-, Ton- und Datenmaterials zum Zwecke der Abklärung von Straftaten Dritter verweigern können.

9. Nachdem sich mit der via Bundesgericht erzwungenen Einsichtnahme in die beiden Dienstanweisungen und aufgrund der von der Stadtpolizei Zürich offenbar gegenüber der früheren Fassung vorgenommenen Änderungen der Dienstanweisung 8201 die Standpunkte der Parteien zumindest inhaltlich angenähert haben dürften, erscheint es aus Sicht des Presserates wünschbar, dass Stadtpolizei Zürich und die Verbände von Medienschaffenden im gemeinsamen Gespräch versuchen, sich auf Verhaltensregeln zu einigen, die sowohl die Bedürfnisse der Polizei als auch die berufsethischen Pflichten und Rechte der Medienschaffenden angemessen berücksichtigen. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Frage der Wegweisung von Medienschaffenden bei Einsätzen im friedlichen Ordnungsdienst zu denen sich die beiden Dienstanweisungen nicht explizit äussern.

 


III. Feststellungen

 

1. Es widerspricht der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten», wenn Medienschaffende bei Polizeieinsätzen im unfriedlichen Ordnungsdienst weggewiesen werden. Medienschaffende dürfen bei der Beschaffung von Informationen jedoch keine Polizeieinsätze behindern oder stören.

2. Es ist grundsätzlich mit den berufsethischen Grundsätzen vereinbar, wenn Medienschaffende für Auskünfte über Polizeieinsätze an eine zentrale Medienstelle verwiesen werden, sofern diese aktuelle Informationen liefert und gegebenenfalls auch am Ort des Geschehens präsent ist. Die Auskünfte einer Medienstelle einzuholen kann die eigene journalistische Recherche vor Ort jedoch nicht ersetzen.

3. Polizeibeamte nehmen eine öffentlich wahrnehmbare und der Kontrolle der Öffentlichkeit unterliegende Funktion wahr. Sie müssen deshalb in Kauf nehmen, bei der Ausübung ihrer polizeilichen Funktion auch einmal in identifizierbarer Weise in den Medien abgebildet zu werden. Der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer Berichterstattung und dem Interesse auf Wahrung der Privatsphäre von Polizeibeamt/innen sowie dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit ist insbesondere bei der Auswahl des zu veröffentlichenden Bildmaterials Rechnung zu tragen. Die einen einzelnen Beamten identifizierende Bildberichterstattung ist umso eher zu rechtfertigen, je höher die Funktion des Betroffenen im Polizeikorps anzusiedeln ist.

4. Keinesfalls vermag es der Schutz der Privatsphäre von Polizistinnen und Polizisten aber zu rechtfertigen, Bildmaterial von Journalistinnen und Journalisten vorsorglich zu beschlagnahmen, zu visionieren oder zu vernichten. Medienschaffende sind berufsethisch verpflichtet, das Redaktionsgeheimnis zu wahren und ihre Quellen zu schützen. Sie haben sich gegebenenfalls durch Ergreifung von Rechtsmitteln dagegen zur Wehr zu setzen, dass Bildaufnahmen polizeilich visioniert, verwertet oder vernichtet werden.

5. Die Stadtpolizei Zürich und die Verbände von Medienschaffenden sollten versuchen, sich im gemeinsamen Gespräch auf Verhaltensregeln zu einigen, die sowohl die Bedürfnisse der Polizei als auch die berufsethischen Pflichten und Rechte der Medienschaffenden angemessen berücksichtigen.