Ende dieser Woche fand vor dem Bezirksgericht Zürich ein Prozess gegen den bekannten Fotografen Klaus Rózsa statt. Es ging um die Pressefreiheit – und die Presse blieb fern. Das Urteil lautete auf Deutsch übersetzt: Das Fotografieren von Prügelpolizisten gilt als Hinderung einer Amtshandlung.
Erich Schmid
Er war Präsident des Zürcher Gewerkschaftsbunds, er war Präsident der grössten Organisation von Medienschaffenden, der Gewerkschaft comedia (heute Syndicom), die 45‘000 Beschäftigte in der Kommunikationsbranche vertritt, er war im Vorstand des Schweizer Presserats – und er stand am Freitag vor den Schranken der Justiz, wo es um nichts weniger ging als um die Pressefreiheit in der Schweiz. Die grossen Zeitungen kamen nicht: als ginge sie dies alles nichts an.
Dabei hatte Klaus Rózsa in Ausübung seines Berufs als Pressefotograf und seiner Ämter im Jahr 2002 endlich aufräumen können mit dem alten System der Berichterstattung bei Krawallen und unfriedlichen Demonstrationen, das die Journalisten behindert und die Pressefreiheit eingeschränkt hatte. Rózsa hatte in einem dreijährigen Prozess vor Bundesgericht erstritten, dass der von Polizei und Justiz bis anhin verteidigte Journalistenbann bei Krawallen endlich aufgehoben wurde. Danach durfte die Polizei die Medienvertreter nicht mehr fernhalten von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Ordnungshütern und Demonstranten. Sie durften berichten und fotografieren, was sie aus der Nähe sahen – auch Polizeiübergriffe, wie sie bei den Zürcher Jugendunruhen der 60-er und 80-er Jahre zum Alltag gehörten. Dass die Polizei keine Freude daran hatte, und dass es ausgerechnet Klaus Rózsa gewesen war, seit je ein Feindbild, der dafür gesorgt hatte, dass der „embedded journalisme“ nach Zürcherart der Vergangenheit angehörte, durfte nicht ewig dauern. Nur zehn Jahre.
Nach dem Prozess vom Freitag ist es damit nun vorbei. Das Bezirksgericht hat Klaus Rózsa in einem haarsträubenden Strafverfahren, das selbst der SVP-Richterin sichtliches Unbehagen bereitete, zu einer bedingten, aber für den Journalismus insgesamt empfindlichen Geldstrafe wegen „Gewalt und Drohung“ und „Hinderung einer Amtshandlung“ verurteilt, weil er vor vier Jahren die Besetzung des Fussballstadions Hardturm und einen Polizeieinsatz fotografierte. Das Urteil bedeutet, sofern es nicht von der nächst höheren Instanz, dem Obergericht des Kantons Zürich, aufgehoben wird, dass die Polizei künftig Journalisten wieder wegweisen darf, wenn sie Polizeieinsätze beobachten und fotografieren wollen. Sollten sie sich dennoch beim Geschehen aufhalten, gilt das fotografische Festhalten von Polizeiprügel künftig als Hinderung einer Amtshandlung! Knüppeln wird, ob verhältnismässig oder nicht, von Amtes wegen nun wieder geschützt wie auch das Abfeuern von Gummigeschossen, ob aus der Nähe oder aus der Distanz. Und genau darum ging es, als Klaus Rózsa den Polizeieinsatz beim Hardturmstadion fotografierte: Die Polizisten schossen aus wenigen Metern Gummiprojektile auf die friedlichen jugendlichen Besetzer und wollten verhindern, dass es Bilder davon gibt, weil die Polizeiverordnung beim Einsatz von Gummigeschossen eine Mindestdistanz von 20 Metern vorschreibt. Kurz gesagt: man hat Klaus Rózsa als Augenzeugen von unverhältnismässiger Polizeigewalt kriminalisiert. Sollte sich dieser Trend zuspitzen, geht unsere Gesellschaft in diesem Bereich wieder in Richtung Polizeistaat, wie er während der Jugendunruhen der 80-er Jahre existierte. Folgerichtig bezeichnete Klaus Rózsa denn das Urteil auch als ein Berufsverbot.
Rückfall in alte Zeiten
Dies ist nicht etwa aus der Luft gegriffen, denn damals verglich der bekannte Strafrechtsprofessor Peter Noll, immerhin Dekan der juristischen Fakultät der Uni Zürich, die Zürcher Krawalljustiz mit der Militärjustiz in der Türkei. Mit dem Urteil gegen Klaus Rózsa ist die Zürcher Rechtsprechung wieder dorthin zurückgefallen. Auch damals ging es um ein System, das dafür sorgte, dass die Amtsausübung der Polizei bei Auseinandersetzungen mit Gewalt nicht in Frage gestellt werden darf. Wenn in den 80-er Jahren einem Demonstrant bei der erkennungsdienstlichen Behandlung – etwa bei der Daktyloskopie – ein Knochen gebrochen wurde, was mitunter vorkam, dann klagte der Geschädigte gegen den Polizisten, der ihn misshandelt hatte. Dieser konnte meistens nicht eruiert werden. Wenn dies ausnahmsweise doch geschah, war es die Regel des Systems, dass das Verfahren gegen den Polizisten eingestellt und im Nachhinein ein Verfahren gegen den Demonstranten eingeleitet wurde wegen Hinderung einer Amtshandlung oder Gewalt und Drohung gegen Beamte, allein weil er demonstriert hatte. In diesen Fällen des Krawalljustiz-Systems wurden die Polizisten freigesprochen, während Hunderte von Demonstranten verurteilt wurden. Eine der ganz wenigen Ausnahmen in besonders krassen Fällen betraf damals schon den Pressefotografen Klaus Rózsa. Er war auf dem Heimweg beim OBER-Gebäude bei der Stauffacherbrücke von vier Polizeifahrzeugen eingekreist worden. Sie schnitten ihm den Weg ab, zerrten ihn aus dem Wagen und schlugen ihn mit Stiefeltritten und Knüppeln bewusstlos. Ein Taxifahrer hatte dies zufällig beobachtet und konnte deswegen nicht mehr schlafen. Da meldete er sich als Zeuge. Einige der beteiligten Polizisten mussten verurteilt werden.
Im Zweifel gegen den Angeklagten
Im Fall der Stadionbesetzung lief das Verfahren wieder nach dem alten System ab. Klaus Rózsa wurde misshandelt und reichte gegen die Polizisten eine Strafanzeige ein. Dieses Verfahren wurde verschleppt und ist noch hängig. Aber im Gegenzug, als Retourkutsche, wurden im Nachhinein zwei Strafverfahren gegen Klaus Rózsa eingeleitet: eines wegen Ehrverletzung, weil er einem Polizisten, der ihn als „Sauhund“ bezeichnet haben soll, gesagt habe, er sei „so schlimm wie ein Nazi“. Dieser Ehrverletzungsprozess wurde von zwei Instanzen im Eilverfahren abgeschlossen. Klaus Rózsa wurde 2009 vom Obergericht rechtskräftig verurteilt und musste seinen Peiniger 5‘000 Franken Entschädigung bezahlen. Das zweite Strafverfahren, bei dem es um eine Abwägung ging, ob Klaus Rózsa, wie von den Polizisten behauptet, ihnen gegenüber Gewalt angewendet und sie in ihrer Amtshandlung behindert hätte oder nicht, dauerte vier Jahre.
Die lange Dauer des Verfahrens, das von der Staatsanwaltschaft für besondere Aufgaben verschleppt worden war, bewog die Richterin in ihrer Urteilsbegründung zu erwähnen, sie befinde sich am unteren Limit einer möglichen Verurteilung. Dennoch verurteilte sie ihn. Wie der Beobachter einer Menschenrechtsorganisation nach dem Prozess meinte, habe die Parteizugehörigkeit der Richterin keine grosse Rolle gespielt, denn sie sei gefangen gewesen im alten spezifisch zürcherischen System. Seine Organisation rate ihren Klienten seit mehreren Jahren von Anzeigen gegen die Polizei ab und schicke sie, weil die Chance vor Gericht Recht zu bekommen verschwindend klein sei, und die Wahrscheinlichkeit praktisch eine Gewissheit, selbst angezeigt und verurteilt zu werden, nur noch zum Ombudsmann. Dort wird dann der Fall zumindest statistisch erfasst.
„Mit der Begründung, Medienschaffende könnten sich mit dem Verbleib an einer Kundgebung einer Gefährdung aussetzen oder die Polizeiarbeit stören, kann sich die Polizei allerdings jeglicher medialen Kontrolle ihrer Tätigkeit entziehen, was unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Kontrolle der Tätigkeit staatlicher Behörden inakzeptabel ist."
(Zitat aus dem Entscheid 60/2002 des Schweizer Presserates)
Erich Schmid ist Publizist, Buchautor und Regisseur
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notpicnic (Sonntag, 17 Juni 2012 12:37)
this is an unacceptable international development in the heart of our democraties:
simular:
http://www.nvj.nl/nieuws/bericht/fotograferen-van-ontruiming-tentenkamp-ter-apel-ernstig-belet/
http://open.salon.com/blog/fusuna/2012/05/23/is_freedom_of_press_under_attack_in_montral
http://pear.ly/4uTj part of http://pear.ly/2M9v